thoughts

Die Suche nach der Moral, der Freiheit, der Lösung und der Schuld, bei Tofubrötchen und Kaffee im Pappbecher an der Theke des Bioladens.

Brought to u by urs truly, Allzeitmoralapostel und nicht stolz drauf,
Marie (pls don’t hate me, i’m doing this for u)

“Den Kaffee im Pfandbecher oder im Wegwerfbecher?” - “Wie jetzt? Na im normalen Becher halt!”, mit Bewegung Richtung Plastikbecher, dessen Schicksal ihn maximal 10min später in den nächsten leuchtend orangenen Mülleimer und noch ein ganzes bisschen später wo hintreibt? In den Ozean? In den Bauch von “all of the seaturtles!” Irgendwo nach Asien? - “Also den zum Wegwerfen ja?” - “Naja den normalen halt!”
Eine Mischung aus Wut, Abneigung und Unverständnis runterschluckend, stelle ich den als “normal und somit akzeptablen, ohne Frage”-betitelten Behälter unter die Kaffeemaschine und schiebe ihn nach erfolgreicher Füllung wortlos über die Theke des Bioladens. 

Danach entschuldige ich mich bei meinem Kollegen für 2min und beruhige meinen Ärger und mich mit ein paar tiefen Atemzügen und kleinen Fluchen im Nebenraum. Wann ist Ignoranz, Egoismus und Bequemlichkeit normal geworden? Das Non plus ultra, der Richtwert und der Aspekt, den es nicht in Frage zu stellen gilt, weil er ja so normal ist? Da denkt man doch tatsächlich, die Menschen, die Wert darauf legen, ihre Lebensmittel im biologisch bewussteren Supermarkt einzukaufen, wären auch solche, die ihren Horizont auch ein bisschen in andere Richtungen erweitert hätten. Un- oder eben bewusstes Konsumverhalten mag ja jedem seiner eigenen Entscheidungsfreiheit unterliegen – also, darf ich mich darüber überhaupt ärgern, ja, gar aufregen? Mich in tiefe Traurigkeit und ein Gefühl von Hilf- und Machtlosigkeit ziehen lassen, beim Anblick jeder Omi, die die Bananen in eine Plastiktüte hüllt, jeder absolut vermeidbaren “unnachhaltigen Aktion”? Bin ich überhaupt einen Deut besser, denn konsumieren tu ich ja ebenfalls? Sind wir also nicht alle irgendwie Schuld? Bringt’s überhaupt was, den Schuldigen zu suchen, festzunageln und mit dem Zeigefinger auf ihn zu zeigen? Ändert das auch nur das Geringste an den eigentlichen Missständen, die es zu bewältigen gilt? Ist es überhaupt die Pflicht des “normalen Menschen”, sein Konsumverhalten zu hinterfragen, wenn doch sowieso alles von viel Mächtigeren gesteuert und manipuliert wird? Haben unsere vermeintlich “nachhaltigeren Handlungen” überhaupt einen Mehrwert oder gehen sie eigentlich komplett unter? Wie ok ist es, anderen meine eigenen Vorstellungen von “Richtig und Falsch” aufzudrängen, selbst, wenn sie nur das Gemeinwohl anstreben? Im Prinzip tu ich das ja schon ein bisschen, wenn auch nicht auf direkte Art und Weise, aber selbst mit meiner Wortwahl “Wegwerfbecher” anstatt “Pappbecher” bringe ich den ein oder anderen in die Bredouille und in eine Abwehrhaltung und selbstverteidigendem, rechtfertigendem Stammeln von “Also nur dieses mal… Ich weiß ja, dass es scheiße ist… Aber heute passt es mir wirklich nicht mit dem Pfand...”. - und das ist mir ganz bewusst.

Gehöre ich also zu den Leuten mit erhobenem Zeigefinger, den Moralaposteln, auch, wenn man sich das selbst nur schwer eingestehen möchte und selbst ja vielleicht auch keinen Ticken besser ist, denn, meinen Tofu kauf ich ja leider auch in einer Plastikverpackung, die danach, zwar mit einem weinenden Auge, aber trotzdem einfach so weggeworfen wird? Offensichtlich! Denn auf Tofu verzichten, uff, da müsste ich mir selbst schon ganz schön was abverlangen. Andererseits könnte man natürlich auch argumentieren mit “Ja, wenn es denn ausreichend Alternativen gäbe, würde ich ja auch anders handeln!” Die Hafermilch kauf ich ja schließlich auch seit Neustem in der Pfandflasche, selbst, wenn sie einen ganzen Euro teurer und somit ein wesentlich tieferer Griff ins Studentenbudget ist. Aber auf Tofu verzichten will man ja trotzdem nicht. Hat ja schließlich auch was mit eigenen Grenzen zu tun, wie viel man gewillt ist, seine individuellen Bedürfnisse und den persönlichen Egoismus über das Wohl aller zu stellen. Wo ist da die Messlatte? Und wer verhängt diese eigentlich? An wem also orientieren, wenn nicht an einem selbst? Warum sollte man selbst zurückstecken, wenn’s andere ja offensichtlich nicht tangiert? Um als besseres Beispiel voranzugehen? Wofür und für wen? Für’s eigene Gefühl, für’s ‘sich selbst auf die Schulter klopfen’ und auf andere herabsehen, die weniger tun? Meine Eltern argumentieren manchmal mit Aussagen wie “Wenn uns nichts anderes geboten wird, können wir ja nichts anders machen! Wenn’s die Paprika eben nur in unnötig viel Plastik eingehüllt zu kaufen gibt, dann muss ich mich dem ja schließlich beugen!” Und auf Paprika verzichten? Kommt nicht in die Tüte. Machen andere ja auch nicht. Geht mir ja auch ein bisschen so, mit dem Tofu. Dafür dann eben die teurere, bisschen nachhaltigere Hafermilch in Flaschen, so für’s eigene Gewissen und für’s Allgemeinwohl natürlich auch. Dass man seine eigene Freiheit nicht unbedingt einschränken will, weil es andere ja (anscheinend) genausowenig tun, versteh ich ja irgendwie. Aber gibt’s eine Lösung, mit der man seine Freiheit bewahren und gleichzeitig das Beste tun kann, ohne sich von Moralaposteln (wie mir), sich dauernd seine Meinung aufzwängen zu lassen?

Gab’s da nicht auch mal so einen Eklat mit den Grünen, die viel verbieten wollten, des Allgemeinwohl Willens? (Bspw. Inlandsflüge einschränken, nur noch dreimal im Jahr fliegen, Tempolimit auf Autobahnen, war da nicht was?) Würde bestimmt auch gut funktionieren, wenn nicht jeder Mensch anders denken, andere Meinungen vertreten und andere Werte haben würde. 
Der Pluralismus also ist Schuld, der Schuft, so wie immer.
Somit wär das ja ein großer Eingriff in die individuelle Freiheit, und wo sind da die Grenzen?
Sinnvolle Einschränkungen der Handlungsfreiheit gibt es ja offensichtlich auch,
bspw. Die Strafbarkeit von Selbstjustiz, der freie Verkauf von Heroin in Apotheken, das Tempolimit in verkehrsberuhigten Zonen, etc.; auch, wenn hier wahrscheinlich jeder eine andere Meinung vertritt (Suchtmittelabhängige wären ggf. für den freien Verkauf von Rauschmitteln, Menschen ohne Verständnis von Sicherheit vielleicht gegen ein Tempolimit in stark von Kindern bespielten Zonen, etc.) Da man diese Beschränkungen allerdings begründen kann, sind sie gerechtfertigt und realisiert worden. Aber wären einige in den konsumeristischen Bereichen nicht genauso moralisch untermauert und schwerwiegend? Ist eine lebensfähiger Umwelt kein gerechtfertigter Grund für Einschränkungen, ob man sie nun gutheißt oder nicht? 

Natürlich würde ich es auch vorziehen, nur für einen Bruchteil der Zeit und des Geldes in ferne Ländern reisen zu können, indem ich einfach in ein Flugzeug steige, 7823875428959824 Tonnen Kerosin verballer und der Welt einen gehörigen Tritt in den Bauch verpasse, “simply for my own pleasure”. Aber sollte das wirklich zur eigenen Freiheit gehören, wenn sie nicht nur das Allgemeinwohl, sondern auch die Lebensfähigkeit des Planeten, und somit auch unsere eigene Existenz, gefährdet? Vielleicht wären ja leichteEinschränkungen schon genug, wie der komplette, paternalistisch durchgesetzte Verpackungsverzicht bei Lebensmitteln, Fast Fashion oder der gesamte Greenwashing-Witz und somit weitere, viel stärker in die eigene Bequemlichkeit und Freiheit eingreifenden Maßnahmen vorerst überflüssig? Muss man Menschen erst “zu ihrem Glück zwingen” und inwieweit darf man das? Welche Eingriffe sind legitim und unabdingbar, um die Menschheit zu retten? Kann ich da tatsächlich nur von meiner eigenen Meinung und meinem persönlichen Toleranzbereich ausgehen? Überschreibt das Allgemeinwohl die individuelle Frage nach der Freiheit? 

Ich finde, gewissermaßen schon. Denn wenn (wir uns selbst) nicht jetzt einschränken, bzw durch legitime und verantwortungsvolle politische Maßnahmen eingeschränkt werden, wie sollen dann weitere Generationen genauso auf diesem Planeten existieren können? Ist es nicht die größte Farce und egoistisches An-Sich-Reißen des eigenen Lebens, jüngeren Menschen die Existenz zu nehmen? Ist das nicht quasi schon fast Mord? Ist das schon wieder zu viel gesagt, zu weit gedacht, zu übertrieben formuliert und zu dramatisch gesehen? Ist das nicht aber auch eine Grundmoral, die jeder innehaben sollte – das Bestreben danach, das Leben anderer Menschen zu ermöglichen und nicht ausschließlich das Beste für das eigene?

So viele Fragen hab ich mir gestellt und gefühlt tu ich das jeden Tag. Nicht nur dann, wenn ich mal wieder einen Kaffee mit Kuhmilch ausschenken muss, denn die eigenen Grenzen steckt ja bekanntlich jeder selbst. Trotzdem macht es mich traurig, immer und immer wieder. Muss ich dann einfach an mir selbst und meiner Resistenz und Überempathie arbeiten oder müssen vielleicht andere endlich mal was tun? Bringt das überhaupt alles noch was oder ist es nicht sowieso schon zu spät und alle Fragerei nach dem Richtig und dem Falsch, nach dem Moralapostelspiel und dem erhobenen Zeigefinger, nach der Freiheit und der eingeschränkten, nach dem Maß und der Toleranz und dem eigenen Wohl und dem Allgemeinwohl nicht bereits überflüssig?
Ich finde nicht. Und ich werd mich weiterhin jeden Tag aufs neue fragen und werde weiterhin versuchen die Balance zwischen “jedem so weit wie er für sich selbst entscheidet gehen zu wollen” und “so trefft doch nicht nur die dümmsten Entscheidungen, mein Gott! Hier sind die Alternativen! Die sind mindestens genauso gut!” zu finden, zu hoffen, dass etwas passiert und dass mehr Menschen zurückstecken für andere und dass, in gewisser Weise, ein bisschen in unsere Freiheit eingegriffen, aber nicht übergriffen, wird.